Kinderrechte in Deutschland

Kinderrechte in Deutschland sind noch lange nicht verwirklicht, trotz der Verpflichtung der Bundesregierung, ihre Gesetze und Politik der UN-Kinderrechtskonvention anzupassen. Dies wird vor allem deutlich, wenn Kinder und Jugendliche selbst die Möglichkeit haben, ihre Sichtweise auf die Umsetzung der Kinderrechte in ihrem Umfeld kund zu tun. Mehrere NROs und zivilgesellschaftliche Organisationen setzten sich für eine stärkere Beteiligung von Kindern in Deutschland ein.

Deutschland ein „kindgerechtes“ Land?

Deutschland beansprucht für sich, ein kindgerechtes Land zu sein. Nachzulesen ist dies im Nationalen Aktionsplan (NAP), den die Bundesregierung 2005 verabschiedet hat. Damit kam sie einer Verpflichtung nach, die sie auf der UN-Sondergeneralversammlung im Mai 2002, dem so genannten zweiten „Weltkindergipfel“, eingegangen war. Dort versammelten sich vorrangig alle Staaten, die die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) unterzeichnet hatten. 1992 hat die deutsche Regierung die am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene Kinderrechtskonvention ratifiziert und sich dadurch verpflichtet, ihre Gesetze und Politik der KRK anzupassen. Die Bundesregierung sah jedoch anfangs keinen Handlungsbedarf für das eigene Land. Die Einsicht, dass es durchaus noch viel zu verbessern gibt, ist ein erster Fortschritt. Anzumerken ist zudem, dass die Bundesregierung die KRK bis 2010 nur unter Vorbehalt ratifiziert hat, die Prinzipien der KRK waren bis dahin in Deutschland dem Ausländerrecht und dem Eltern- bzw. Familienrecht untergeordnet.

Die 54 Artikel der KRK sollen dazu dienen, Kindern eine gute, gerechte und würdige Lebensumgebung zu schaffen. Kinder werden hier als Träger*innen eigener Rechte verstanden. In der Umsetzung bedeutet dies, dass Kinder nicht nur Objekte von Schutz und Fürsorge durch Erwachsene sind, sondern Subjekte ihrer eigenen Entwicklung, die sie selbst mitbestimmen können und sollen. In Artikel 3 KRK wird dies mit dem „Besten Interesse des Kindes“ (im englischen Original: „best interests of the child“) beschrieben. Das „Wohl des Kindes“, wie es in der deutschen Übersetzung meistens genannt wird, soll Vorrang bei allen das Kind betreffenden Angelegenheiten haben. Nach Artikel 12 sind die Vertragsstaaten außerdem verpflichtet, die Meinung jedes Kindes anzuhören und entsprechend zu berücksichtigen.

Kritische Aspekte bei der Umsetzung der Kinderrechte

Vor- und Nachteil bei der Umsetzung der UN-Prinzipien ist der Spielraum, den die vagen Formulierungen den Ländern bei ihrer praktischen Auslegung bieten. Dies ist Folge des Kompromisses, der bei dem über 10 Jahre andauernden Entstehungsprozess geschlossen werden musste. Da viele Länder sich an der Formulierung beteiligten bzw. ein Vetorecht hatten, musste so lange am Wortlaut gefeilt werden, bis nach dem Konsensprinzip alle Beteiligten einverstanden waren. So blieben einige Artikel sehr schwammig in ihrem direkten Umsetzungsanspruch. Im „Beteiligungsartikel“ 12 KRK wirkt bspw. einschränkend, dass ausschließlich „das Kind“ angesprochen wird, „das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden“, dieses seine Meinung nur in „das Kind berührenden Angelegenheiten“ frei äußern darf und dass seine Meinung „entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ Berücksichtigung finden soll.

Als kritisch anzumerken ist ebenso, dass in der KRK keine Instanz mit Machtbefugnissen aufgeführt ist, an die sich betroffene Kinder und Jugendliche oder sie unterstützende Organisationen wenden können. Die Artikel in der KRK sind somit kein anwendbares Recht, sie sind nicht direkt einklagbar. Die Kinderrechtskonvention dient vielmehr allen Ländern als Vorgabe, ihre Gesetze im eigenen Land so auszurichten, dass Kindern und Jugendlichen ein körperlich, geistig und seelisch unbeeinträchtigtes Leben zugesichert wird. Betroffene Kinder bzw. die sie unterstützenden Erwachsene müssen sich vorrangig an die bestehenden Rechtsorgane im eigenen Land wenden und können sich nur auf die staatlichen, regionalen oder kommunalen Gesetzgebungen berufen.

Das 2014 mit einem Zusatzprotokoll erschaffene und von Deutschland unterschriebene „Individualbeschwerderecht“ vor dem UN-Kinderrechtsausschuss ermöglicht zwar Kindern oder ihre Vertreter*innen, sich direkt an den Ausschuss zu wenden, um Kinderrechtsverletzungen eines Staates anzuklagen oder den fehlenden Schutz eines Staates einzuklagen. Allerdings nur, wenn sie den nationalen Rechtsweg ohne Erfolg durchlaufen haben. Und auch hier gilt: Der Ausschuss kann Staaten bloß rügen, er hat keine weiteren Sanktionsmöglichkeiten.

Die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland

Nach Artikel 43 der KRK sind die Staaten dazu verpflichtet, alle fünf Jahre über Maßnahmen, Fortschritte sowie Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Kinderrechte im Land zu berichten. Diese Länderberichte werden vom UN-Kinderrechteausschuss geprüft, kommentiert und mit Empfehlungen versehen. Parallel zu den Berichten der Regierungen reichen Organisationen so genannte „Parallel-“ oder „Schattenberichte“ ein, in denen sie ergänzend Stellung nehmen.

Seit 1995 haben sich bis heute über 100 Organisationen und Initiativgruppen zum National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e. V. (National Coalition Deutschland - NC) zusammengeschlossen. Er identifiziert Schwachstellen und Handlungsbedarfe hinsichtlich der Umsetzung der KRK in Deutschland und schreibt dazu: „Die Verantwortung, geeignete Rahmenbedingungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen junger Menschen zu schaffen, trägt in erster Linie die Politik. Die Konvention wird sich aber nur dann in die Lebenswirklichkeit umsetzen lassen, wenn ein umfassender gesellschaftlicher Dialog stattfindet, in dem Ziele festgelegt, konkrete Handlungsschritte aufgezeigt und deren Umsetzung überwacht wird und angemahnt wird. Die NC setzt sich für die Interessen und Bedürfnisse aller jungen Menschen bis 18 Jahre ein, bezogen auf die für Deutschland umzusetzenden Vorgaben aus der UN-Kinderrechtskonvention.“

Um diese Aufgaben zu erfüllen, erarbeitete die NC bisher zwei „Ergänzenden Berichte“ (Parallelberichte) zu den Staatenberichten der Bundesregierung an den UN-Kinderrechteausschuss, in dem sie sich mit dessen Lücken und Schwachstellen auseinandersetzte und zusätzliche Informationen lieferte. Überdies veröffentlichte er in 2010 und 2019 zwei „Kinderrechtereports“ in denen Kinder und Jugendliche die Umsetzung der KRK in Deutschland selber bewerten. Der NC organisierte hierfür bundesweit entsprechende Foren mit zuletzt über 2700 Kinder und Jugendliche, die ihre Meinungen einbrachten.

Forderungen der Kinder- und Jugendliche aus den Kinderrechtereports entstammen folgende Schwerpunkte: Meinung und Beteiligung, Diskriminierung, Schutz vor Gewalt, Privatsphäre, Familie und andere Fürsorge, Kinder/Jugendliche mit Behinderung, Gesundheit, Umwelt, Armut und Soziale Sicherheit, Bildung, Spiel und Freizeit, Flucht und Asyl, und Bekanntheit der Kinderrechte. Die besseren Rahmenbedingungen für Eigeninitiativen von Kindern und Jugendlichen sind ein Dauerbrenner. Schon im NAP wollte sich die Bundesregierung besonders dafür einsetzen, „die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungen in Bund, Ländern und Gemeinden verbindlich zu regeln“. Die Kinder und Jugendlichen erinnern gleichzeitig daran, dass in den Ländern und Kommunen viele Partizipationsangebote und Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit in den letzten Jahren Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen sind. Zudem möchten sie eine Änderung der Formulierung „Jugendliche werden beteiligt“ zu „Jugendliche beteiligen sich“.

Seit 2015 untersucht und überwacht auch eine Monitoringstelle, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte angesiedelt ist, die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland. Auch sie spricht Empfehlungen aus, wie die UN-Kinderrechte besser umgesetzt werden können und berät die Politik in Bund, Ländern und Kommunen sowie die Justiz, Anwaltschaft und Zivilgesellschaft bei der Auslegung und kindgerechten Umsetzung der KRK.

Die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz wird seit 1992 immer wieder gefordert, begleitet von großangelegten Kampagnen diverser Nichtregierungsorganisationen zuletzt sogar im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD von 2018. Bislang finden die Kinderrechte noch keine konkrete Erwähnung im GG, es herrscht Uneinigkeit über deren Formulierung und deren Gewichtung. Kinderrechte in Deutschland sind noch lange nicht verwirklicht. In der staatlichen Politik ist zwar ein Umdenken zu erkennen, die Umsetzung lässt aber noch zu wünschen übrig. In der Gesellschaft sind das Interesse und die Sensibilität für die Belange und Rechte von Kindern gewachsen, konkretes Handeln bleibt aber noch weitgehend Sache einiger engagierter Vereinigungen und Gruppen.

Aktualisiert: 14.12.2020